Bedauerlicherweise konnte der geplante Theaterbesuch, am 7. Dezember, der gesamten J1 zusammen mit unserer Klasse (10d) auf Grund eines Bahnstreiks nicht stattfinden. Frau Berenbold und Herr Wiedmann hatten im Vorfeld mehrfach mit der Bahn sowie dem Theater telefoniert und mussten letztlich den Theaterbesuch schweren Herzens absagen.
Daraufhin beschlossen wir (Lisa und Laura, 10d) uns am 15.12.23 selbst auf den Weg zur Württembergischen Landesbühne in Esslingen zu machen.
Dort angekommen hörten wir uns die Stückeinführung an, die auf das Leben des Autors, Robert Muller, blickte. Dieser wurde 1925 in Hamburg geboren. Er galt seit 1935 durch den Erlass der Nürnberger Gesetze wegen seines jüdischen Vaters und seiner halbjüdischen Mutter als Dreivierteljude. Obwohl sich die Familie als staatsbürgerlich deutsch verstand, machte dieser Status sie zu Personen minderen Rechts. Um Problemen mit dem NS-Regime zu entgehen, ist er dazu gezwungen, seine geliebte jüdische Großmutter zu verleugnen. 1938 konnte der damals 13-jährige Robert Muller mit dem ersten Kindertransport von Hamburg nach England fliehen. Sein Vater wie seine Mutter folgten ein Jahr später, die geliebte Großmutter konnte aufgrund ihrer angeschlagenen Gesundheit nicht mitkommen. Seine Eltern konnten ihn wegen schlecht bezahlter Anstellungen jedoch nicht zu sich nehmen, da sie ein Leben in Armut führten. Muller kam bei einer orthodoxen jüdischen Familie unter, für welche er, im Vergleich zu seiner angepassten arischen Art in Deutschland, jedoch nicht jüdisch genug war. Später wurde er britischer Staatsbürger.
Seinen Traum, als Journalist und Autor seinen Lebensunterhalt zu verdienen, erfüllte er sich einerseits mit der Arbeit beim „Time Life Magazin“ in London und andererseits später durch das Schreiben von Romanen und Theaterstücken. Eines davon, „Der Unheimliche“ schrieb er 1997 im Auftrag des Hamburger Thalia Theaters, in welchem es jedoch nie aufgeführt wurde, da Muller ein Jahr später verstarb. Die Uraufführung fand am 22.09.2023 in Esslingen statt.
In diesem Stück verarbeitete er Teile der traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit. Die erste Szene zeigt den Hauptdarsteller Sir Rudolf Ulmer bei einer Ehrungsveranstaltung in Hamburg, seiner Heimatstadt. Zu diesem Zeitpunkt denkt Ulmer noch, er habe seine Vergangenheit hinter sich gelassen und einen Schlussstrich unter Deutschlands nationalistischer Vergangenheit gezogen. Im Laufe des Stücks stellt sich jedoch heraus, dass dem nicht so ist, verursacht durch seinen Jugendfreund Werner Tietjen, durch den er erfährt, dass seine Großmutter „einfach verschwunden“ und nicht, wie er dachte, an einer Krankheit verstorben ist. Daraufhin beginnt Ulmer nachzuforschen. Er will wissen, was wirklich mit ihr geschehen war.
Durch das Stöbern in der Vergangenheit verwandelt sich sein Hotelzimmer in ein Dokumentationszentrum in welchem nach und nach das Bild von der Deportation und Ermordung seiner Großmutter entsteht. Ulmer versinkt in damaligen Zeiten und verliert sich selbst durch seine Recherchen. Allmählich verwandelt er sich zum „KZ-Juden“ mit Hut und Davidstern, der sich dem System beugt, indem er nach den damals erlassenen Gesetzen für Juden lebt.
Trotz seiner Erkenntnisse findet in der Schlussszene eine ,,Rückverwandlung“ statt, symbolisiert durch das Ablegen von Hut und Mantel und das Wiederanlegen von Anzug und Medaille.
Nach dem Stück ergab sich für uns glücklicherweise die Möglichkeit mit Schauspielern und anderen an der Inszenierung beteiligten Personen ins Gespräch zu kommen. Durch diese neue, aber bereichernde Erfahrung fanden wir heraus, dass teils sogar originale Tonaufnahmen, wie beispielsweise das Marschieren von Soldaten, verwendet wurden, wodurch das Stück im Gesamten an Originalität und Eindrücklichkeit gewinnt. Zudem erzählten uns die Schauspieler, dass sie sich über die Zeit immer mehr mit ihren Rollen identifizieren konnten und auch historisches Hintergrundwissen ihnen geholfen habe ihre Rollen entsprechend darzustellen und selbst zu verstehen.
Das Stück wirft die Frage auf, wer denn nun verrückt sei, der Charakter, der in der Vergangenheit versinkt, oder seine Umgebung, die nicht auf diese Veränderung eingeht. Auch die Thematik der Schuldfrage wird eindrücklich dargestellt, da Ulmer oft auf Aussagen, wie „man habe etwas gemacht“ oder „sie wurde dorthin gebracht“ stößt. Diese zeigen ihm, dass niemand die Verantwortung für Geschehenes übernehmen und niemand etwas gewusst haben will. Die gesamte Geschichte um Ulmer und die Suche nach der Wahrheit bezüglich des Verschwindens seiner Großmutter wird bewegend und beklemmend zugleich dargestellt.
Text: Laura Butschkau (Klasse 10)
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