von Chiara Kimmerle (10d)
Solly ist ein dreizehnjähriger jüdischer Jugendlicher aus Litauen, welcher durch die Nationalsozialisten vom einem auf den anderen Tag aus seinem gewohnten Alltag gerissen wurde. Aus dem Ghetto im Sommer 1944 zunächst ins Lager Stutthof (bei Danzig) und von dort ins Lager X, einem Außenlager des KZ Dachau, deportiert. Auf dieser dramatischen Reise lernte er zu überleben, mit Verlusten von Familie und Freunden zurecht zu kommen und schließlich, nach der Befreiung, wieder in ein normales Leben hineinzufinden und sich einen gewöhnlichen Alltag aufzubauen.
Nach fünfzig Jahren des Schweigens über das, was ihm widerfahren ist, will er als einer der wenigen Überlebenden seine Geschichte erzählen und uns nahebringen, dass die für uns so selbstverständlichen demokratischen Werte doch eigentlich gar nicht so selbstverständlich sind.
Solly Ganors Geschichte steht im Zentrum des Live-Hörspiels „Das andere Leben“, welches am 17. Mai 2022 vom bekannten deutschen Schauspieler Thomas Darchinger und dessen Assistentin Alina Abgarjan im Rahmen einer bundesweiten Demokratiekampagne am Stiftsgymnasium vor den Schüler*innen der Klassenstufe 10 vorgetragen wurde.
Wenn man den Begriff „Live-Hörspiel“ das erste Mal hört, kann man sich vermutlich nichts darunter vorstellen; genauso erging es auch der gesamten Klassenstufe 10: Niemand von uns wusste so recht, was auf uns zukommen würde. Mit der einleitenden Rede Darchingers, die im Stile eines Plädoyers unsere demokratischen Werte verteidigte und dafür warb, diese zu achten und zu schützen, dachten wir zunächst, es handle sich um einen Vortrag über das Wesen der Demokratie. Doch als die Überleitung zur Geschichte Sollys durch eine perfekt gewählte Pause mit einer gewaltigen Stille erfolgte – der erste von vielen Gänsehautmomenten – wurde allen klar: Hier erwartet uns etwas Unbeschreibliches.
Die mitreißende Erzählstimme Darchingers, der seit vielen Jahren neben seiner Schauspieltätigkeit auch ein gefragter Synchronsprecher ist, die Live-Gesangsbeiträge von Alina Abgarjan und natürlich die eigens für die Produktion geschriebene Musik des bekannten Filmkomponisten Henning Lohner machen das „Live-Hörspiel“ zu einem einzigartigen Erlebnis: Die plötzliche Stille, die auf dem Raum lastet, wird abrupt durch die lauten Rufe eines KZ-Wachmanns durchbrochen und lässt den gesamten Saal erstarren. Die Gräueltaten der NS-Zeit stellen sich uns emotionsgeladen und wahrhaftig – ganz anders als oft im Geschichtsunterricht – dar und hinterlassen einen bleibenden Eindruck bei uns, den wir wohl nie vergessen werden.
Sollys herzergreifende Geschichte bewegt uns im Innersten nicht nur aufgrund des schrecklichen Schicksals, das dem jüdischen Jugendlichen widerfahren ist. Auch der Blick auf das alltägliche Leben während der Herrschaft der Nationalsozialisten wird durch die Erzählung geschärft und lässt uns realisieren, was für uns heute selbstverständliche Grundrechte wie die Rede- und Versammlungsfreiheit oder das Recht auf freie Wahlen für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen konkret bedeuten. Das diese Freiheiten sehr schnell, von einem Tag auf den anderen, einfach genommen werden können und deshalb geachtet und verteidigt werden müssen, wird von Darchinger in seiner abschließenden Rede erneut betont: Wir alle können unseren Teil dazu beitragen, damit das, was dem Jungen Solly zugestoßen ist, sich niemals wiederholen kann.
Danke an Herrn Zimmer, der dieses eindrückliche Live-Hörspiel ans Stiftsgymnasium geholt hat.