Zwischen Manipulation und Wahrheit: Die Macht der Propaganda im Film ‘Ich klage an'”

7. Juli 2023

Text und Bilder: Ellen Leinekugel (Klasse 12)

In einer Zeit, in der wir auf verschiedensten Kanälen ständig neue Informationen erhalten, verschwimmen manchmal die Grenzen zwischen Manipulation und Wahrheit.

Die Macht der Propaganda erreicht neue Höhen: In den sozialen Medien werden zunehmend gezielte „Fake-News“ verbreitet, um die Leser zu beeinflussen. Propaganda ist jedoch nichts Neues: Im Dritten Reich wurde sie von dem nationalsozialistischen Regime gekonnt genutzt, um die Bevölkerung auf die NS-Ideologie einstimmen.

Gerade in der Filmindustrie wurden Propagandafilme weitreichend verbreitet. So auch der Film „Ich klage an“, welcher 1941 von dem Reichspropagandaministerium unter Goebbels in Auftrag gegeben wurde, um das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten rechtfertigen.

Am Freitag, dem 16. Juni 2023, traf sich die Jahrgangsstufe 12 im Bärenkino in Böblingen. Unter Anleitung eines Medienexperten von dem Institut für Kino- und Filmkultur lief der Vorbehaltsfilm „Ich klage an“. Die Veranstaltung startete mit einer 20-minütigen Einführung in das Thema. An die Filmvorführung schloss sich eine 40 Minuten lange Besprechung in Form von einer Diskussion an.

Der Film beginnt als romantische Liebesgeschichte: Der Zuschauer erlebt mit, wie die hübsche Hanna sowohl von Bernhard Lang als auch Thomas Heyt umworben wird. Die befreundeten Ärzte sind so sympathisch, dass Hanna nicht so recht weiß, für welchen der beiden sie sich entscheiden soll. Schließlich werden sie und Thomas ein glückliches Ehepaar.

Doch plötzlich erkrankt Hanna an multipler Sklerose, einer autoimmunen, chronischen Entzündung des zentralen Nervensystems. Auch wenn Thomas alles dransetzt, die lebensfrohe Hanna zu heilen, lässt sich das Unausweichliche nicht vermeiden: Hannas Zustand verschlechtert sich so sehr, dass sie nicht mehr in der Lage ist, ein normales Leben zu führen. Von der fröhlichen Hanna ist nichts mehr übrig: Sie ist deprimiert und überzeugt kein Mensch mehr zu sein, sondern nur noch, wie sie selbst sagt, ein „Fleischklumpen“.

Verzweifelt bittet sie zunächst ihren ehemaligen Verehrer Bernhard, um medizinische Sterbehilfe. Als dieser entschieden ablehnt, bittet sie ihren Mann darum. Nachdem Thomas sie „erlöst“ hat, sagt er: „Ich habe es getan, weil ich sie liebe.“ Daraufhin reagiert Bernhard entsetzt mit den Worten: „Ich habe es nicht getan, weil ich sie liebe.

Da Hannas Ehemann nun eine Haftstrafe droht, werden in der darauffolgenden Prozessszene Zeugen gehört. Vor der Urteilsverkündung kommen Geschworene zu Wort: Einer davon ist Jäger und berichtet, dass er seinem totkranken Jagdhund, als die Schmerzen nicht mehr aufhören wollten, den Gnadenschuss gewährte. Die eigentliche Botschaft bezieht sich auf die Frage, wie man einem geliebten Menschen denn solch eine „Gnade“ verweigern könnte.

Doch dabei handelt es sich nicht um die einzige Szene, in dem das Publikum davon überzeugt, dass es viel schlimmer ist, kranke Menschen am Leben zu erhalten, als sie zu erlösen: Nach dem Besuch seiner kleinen Patientin in einer Irrenanstalt ändert Dr. Bernhard Lang, seine Meinung zur Sterbehilfe: Die Kleine litt als Baby an einer Hirnhautentzündung, welche er als Arzt zwar heilte, doch im Gegenzug erblindete und ertaubte das Mädchen. Im Gespräch mit den Eltern stellt sich heraus, wie unerträglich das Leiden ihrer geistig schwerbehinderten Tochter sei.

Nach diesem Erlebnis ist der erfahrene Arzt so verstört, dass er einsieht, dass ein Gnadentod die bessere Entscheidung gewesen wäre und wird so vom Kritiker zum Befürworter der Sterbehilfe.

Die Wandlung, die Bernhard vollzogen hat, vollzieht sich allmählich auch beim Zuschauer: Der Film beeinflusst so geschickt, dass man sich nun einig ist, dass Hannas Ehemann richtig gehandelt hat. Dadurch entwickelt sich bei dem Betrachter eine grundsätzliche Akzeptanz gegenüber der Euthanasie. Denn warum sollte man Todkranke unnötig leiden lassen?

Die Debatte macht aus dem Einzelfall eine politische Grundsatzfrage: Die Grenze zwischen „Tötung auf Verlangen“, wie in Hannas Fall und „Tötung unwerten Lebens“, also die systematische Ermordung aller Kranken, wird verwischt.

Zunächst als harmloser Unterhaltungsfilm aufgemacht gelingt es den Nazis ihre Ideologie schrittweise dem Kinobesucher unterzujubeln. Die Geschichte wird an vielen Stellen mit einer starken emotionalen Darstellung präsentiert, da es als Ziel galt, die Euthanasie als einen Akt der Menschlichkeit und der Erlösung von Leiden darzustellen, auch wenn damit Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung, psychischen Erkrankungen und chronischen Krankheiten systematisch getötet wurden.

Dieses Euthanasie-Programm wurde verdeckt unter dem Namen „Aktion T4“ durchgeführt. In speziellen Einrichtungen wurden die Erkrankten, welche als „lebensunwert“ eingestuft wurden, getötet. Allein in der Tötungsanstalt Grafeneck, wurden 10.654 Krankenmorde begangen. Die dort 2005 errichtete Gedenkstätte liegt zwischen Tübingen und Reutlingen.

Dem nationalsozialistischen Regime war klar, dass sie mit ihrem Euthanasieprogramm auf Widerstand, sowohl in Teilen der Bevölkerung als auch bei Ärzten stoßen würden. Um dies zu verhindern, griff man zur Propaganda, um die Vorstellung einer „Volksgesundheit“ ohne erbkranke „Volksgenossen“ durchzusetzen: Zeitschriften und Plakate, selbst Rechenaufgaben in Schulbüchern warben für das Recht auf einen schnellen Tod.

Auch auf uns Zwölftklässler hatte der Film eine große Wirkung und hat uns zum Nachdenken gebracht. „Ich hätte nie gedacht, dass die Propaganda in den Filmen so versteckt ist. Ich habe gar nicht mitbekommen, wie ich eigentlich beeinflusst wurde“, staunt eine Schülerin. Andere sind sich einig, dass der Film deshalb so eindrücklich war, da das Thema, Sterbehilfe, immer noch so aktuell ist: „Abgesehen von Details könnte der Film heute gedreht worden sein. Erst durch die Art und Weise, wie die Meinung des Publikums gelenkt wird und die reale politische Absicht, wird „Ich klage an“ zum Propagandafilm. Genau das macht ihn so gefährlich, Man überlegt sich, wie man selbst auf den Film reagiert hätte, wenn man vor 80 Jahren gelebt hätte.“

Zusammenfassend kann man sagen, dass Propagandafilme im Dritten Reich die Massen ganz subtil manipulierten. „Ich klage an“ diente dem Regime dazu, von seinen systematischen Verbrechen an Kranken und Behinderten abzulenken.  

Zum Schluss würden wir uns gerne bei Frau Berenbold und Herrn Wiedmann für die Organisation bedanken.  Ein ganz großes Dankeschön gilt natürlich dem Kino, das uns die Tickets für fünf Euro angeboten hat.

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