Text: Michelle Fischer
Bilder: Michelle Fischer und Deniz Tekin
Diesen Wunsch hatten Michelle Fischer und Deniz Tekin auf ihrer Reise ins Erdbebengebiet in der Türkei dabei. Hier ein Einblick in die Erfahrungen der beiden:
Nach stundenlanger Fahrt durch die Erdbebenregion kommen wir schließlich in Pınarbaşı (Adıyaman) an. Bereits der Anblick des Epizentrums, Pazarcık, schockte uns sehr, aber je weiter wir Richtung Gebirge fuhren, desto schlimmer wurden die Zerstörungen. Häuser waren komplett zusammenstürzt, sodass nur noch einzelne Steine übrig waren und auf den Straßen entstanden teilweise große Gräben. Die Reste des alten Asphalts lagen noch am Straßenrand.
In Pınarbaşı treffen wir uns mit unserer Kontaktperson, einem Türkischlehrer namens İnan. Wir tauschen uns aus und planen unser weiteres Vorgehen. Dabei wird uns schnell klar, dass wir, so gerne wir das auch tun wollen, nicht alle betroffenen Leute im Dorf unterstützen können.
Um auch die Schule, die wir unterstützen wollen kennenzulernen, machen wir uns auf einen kurzen Fußmarsch. Dort angekommen werden wir schon freundlich von Yusuf dem Schulleiter empfangen. Er führt uns durch die Schule, erklärt uns wie die Schule nach dem Erdbeben ausgesehen habe. Auch zwei Klassen dürfen wir besuchen. Die Kinder freuen sich sehr über Besuch aus Deutschland. Die Schule funktioniert anders seit diesem Ereignis. Da in anderen Schulen aufgrund der Schäden nicht mehr unterrichtet werden kann, besuchen alle Kinder nun diese eine Schule. Damit dies platzmäßig funktioniert, wurde ein Schichtsystem eingeführt. So müssen manche Kinder zwar auch spät nachmittags in die Schule, aber alle haben die Chance weiterhin unterrichtet zu werden.
Für die Kinder geht es weiter im Unterricht und für uns zum Geldwechseln und Einkaufen. Wir packen Tüten mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, die sich die Menschen vor Ort nicht mehr leisten können. Mit diesen gepackten Tüten, İnan und Metin, einem weiteren Lehrer, machen wir uns wieder auf den Weg. İnan kennt die Menschen sehr gut und weiß, wer besonders viel Hilfe benötigt. Der Anblick abseits der Hauptstraße von Pınarbaşı ist schockierend. Die Menschen leben in Zelten, teilweise sind diese leer. Ein Mann möchte, dass wir uns zu ihm in sein Zelt setzen. In diesem Zelt gibt es keine Sitzplätze. Andere wohnen in ihren zerstörten Häusern. Die Außenwände fehlen und auch innen ist vieles eingestürzt. Die Augen der Menschen leuchten, wenn wir ihnen die gepackten Tüten und etwas Geld in die Hand drücken. Eine Mutter schaut uns mit tränenerfüllten Augen an, als sie erfährt, dass die Spenden von Schülerinnen und Schülern aus Deutschland kommen. Sie freut sich, dass Menschen aus anderen Ländern an sie denken. Wir werden von allen Seiten mit tausenden „Dankeschöns“ und Segen überschüttet. Alle wollen uns zu einem Tee und etwas zum Essen einladen. Aber dafür fehlt uns die Zeit, denn es gibt noch so viele andere Menschen, die wir unterstützen wollen.
Es ist traurig zu sehen, wie schlecht die Perspektive für die Menschen aussieht, denn in diesem Ort kommt kaum Hilfe an. Viele der Menschen in Pınarbaşı sind Tabakbauern. Der geerntete Tabak wird normalerweise auf den Dächern der Häuser gelagert und getrocknet. Aufgrund der langen Kälte, fällt die Ernte in diesem Jahr sehr arm aus. Und auch das Trocknen ist auf den Zelt- oder Containerdächern nicht möglich. Dies bedeutet einen noch größeren finanziellen Verlust für die Menschen. Deshalb ist es für uns umso beeindruckender zu sehen, was die Menschen aus dieser Situation machen und welche Lebensfreude sie trotz allem noch ausstrahlen. Die Traumatisierung und die Angst vor weiteren Erdbeben ist aber auch zu spüren. Erst heute hat es wieder gebebt.
Jede Person erlebte das Erdbeben anders, aber für alle waren es grausame 90 Sekunden, die sich ereigneten. Und das im tiefsten Winter bei ungefähr 2 Meter Schnee. Als bei İnans Familie das Haus anfing zu wackeln, rutschte im Schlafzimmer der Kleiderschrank vor die Zimmertür und fiel um. Seine Frau Dilan schnappte sich intuitiv die Wintermäntel der zwei Kinder und zog sie an. Sie versuchten den Schrank wegzuschieben, aber es gelang ihnen nicht. Deshalb überlegten sie, ob sie ihre Töchter (2 und 4 Jahre) einfach aus dem Fenster werfen sollten. Die Hoffnung war, dass der 2 Meter hohe Schnee gut abfedern würde. Glücklicherweise schafften sie es dann aber doch den Schrank wegzuschieben und aus dem Haus herauszukommen. Draußen fanden sie Unterschlupf in einem kleinen Ziegenstall. Dieser wurde für die nächste Zeit, gemeinsam mit vier anderen Familien, ihr neues Zuhause. Die Kinder schliefen nachts im Auto. Aufgrund der Kälte war es sehr schwer die Körpertemperatur der Kinder aufrechtzuerhalten. Feuer half dabei sich aufzuwärmen, aber während die eine Körperhälfte warm wurde, lief die andere Seite blau an. Drei Tage mussten sie hungern, weil sie nichts zu essen hatten. Erst dann bekamen sie Hilfe. Ein Zelt wurde erst nach einem Monat gebracht. Um Schutz zu bekommen, machte sich die Familie auf den Weg zu İnans Geschwistern, aber dort mussten sie ein weiteres Erdbeben mit viel Zerstörung erleben. Glücklicherweise kann die Familie, samt Oma und blindem Opa, nun wieder in ihrem Haus leben, nachdem ein Statiker es freigab.
Wir sind der Familie von İnan und ihm sehr dankbar, dass wir sie kennenlernen durften. Ohne seine Hilfe hätten wir den Menschen in Pınarbaşı nicht mal ein klein wenig Unterstützung zukommen lassen können. Und wir sind dankbar für unsere Schülerinnen und Schüler, die Kuchen verkauft und gekauft haben. Der ausgesprochene Segen und die geäußerten Dankeschöns gelten euch, denn ihr habt das Projekt möglich gemacht. Es wird bestimmt nicht das letzte Mal sein, dass wir die Menschen in Pınarbaşı unterstützt haben, denn sie werden noch jahrelang unter den Auswirkungen des Erdbebens zu leiden haben.